Vor 500 Jahren: Luthers Widerrufsweigerung auf dem Reichstag zu Worms im pfälzischen Reformationskontext

Veröffentlicht am 21. Juni 2021 Historisches Schlaglicht

Eine Gewissensentscheidung und ihre Folgen

…es sei dann das ich durch gezeugnuss der schrift oder aber durch scheinlich ursachen, dann ich glaub wider dem babst noch den concilien allein, weil es am tag ist, das dieselben zu mermaln geirrt und wider sich selbs geredt haben, uberwunden wird, ich bin uberwunden durch die Schriften, so von mir gefurt, und gefangen im gewissen an dem wort gottes, derhalben ich nichts noch will widerruffen, weil wider das gewissen zu handeln beschwerlich, unheilsam und ferlich ist. Gott helf mir! Amen.1

Luther vor dem Wormser Reichstag 1521, kolorierter Holzstich, aus: Ludwig Rabus: Historien. Teil 4, Straßburg 1556, Bl. 70v

Mit dieser berühmten Sentenz – bei der in späteren Drucken des 16. Jahrhunderts erweiterten Schlussformel Hier stehe ich, ich kann nicht anders. handelt es sich wohl nicht um den exakten Wortlaut, den Sinn trifft sie aber fraglos – beendete Martin Luther am 18. April 1521 seine auf dem Wormser Reichstag gehaltene Verteidigungsrede. In seinem zweiten Verhör in der Bischofspfalz durch den Trierer erzbischöflichen Offizial Johann von der Ecken war er in Anwesenheit Kaiser Karls V. und der Vertreter der Reichsstände ultimativ aufgefordert worden, seine theologischen Schriften nun endgültig zu widerrufen. Diese hatten die zeitgenössischen Missstände innerhalb der römischen Kirche und ihrer Kurie scharf angeprangert. Grob vereinfacht ausgedrückt, stellten für Luther ausschließlich die Heilige Schrift und die Werke Jesu Christi die letzte Autorität in Sachen Glauben dar, nur ihnen hätten freie, in ihrem Gewissen lediglich Gott verpflichtete Christen zu folgen. Demgegenüber besäßen weder das Papsttum noch die Konzilien eine Interpretationshoheit der zentralen Glaubenssätze. Dass der für derartige Aussagen bereits vom Papst gebannte Wittenberger Augustiner also die Widerrufsforderung erwartungsgemäß verweigerte, hatte nun auch von Seiten der weltlichen Obrigkeit am 8. Mai 1521 den Erlass des Wormser Edikts zur Folge. In ihm verhängte der Kaiser die Reichsacht über Luther, befahl die Verbrennung seiner Schriften, verbot seine Lehre im gesamten Reich und drohte überdies seinen nicht abschwörungswilligen Anhängern mit der Beschlagnahme ihres Besitzes.

Das Fußfassen der pfälzischen Reformation um 1521

Die beschriebenen Kernereignisse der frühen Reformationsgeschichte fanden strenggenommen nicht in der heutigen (und damals ohnehin nichtexistierenden) Pfalz statt, aber mit dem rheinhessischen Worms unmittelbar vor deren Toren und noch dazu nahe der Territorialgrenzen Kurfürst Ludwigs V. Der wiederum stellte in seinem Machtbewusstsein und Expansionsdrang eine konstante Bedrohung der reichsstädtischen Autonomie von Worms dar. Was Luther betraf, diesem war sein Ruf auch ins Linksrheinische längst vorausgeeilt. Schon bei seiner Ankunft in Worms und der Unterbringung im Johanniterhof erwartete ihn ein veritabler Volksauflauf, bereits vor seinem ersten Verhör erhielt er viel öffentlichen Zuspruch durch seine Anhänger. In jedem Fall beschleunigten die Ereignisse auf dem Reichstag die weitere Verbreitung seiner Ideen im pfälzisch-oberrheinischen Gebiet. Die über ein halbes Jahrhundert alte Technik des Buchdrucks – eine Kommunikationsrevolution, in ihrer zeitgenössischen Wirkung vergleichbar mit der des Internets heute – hatte daran bekanntermaßen einen entscheidenden Anteil. Aus Zentren wie Speyer und Worms fanden dutzende Flugschriften ihren Weg ins hiesige Umland. Für einen wesentlichen religiösen Multiplikatoreffekt sorgte des Weiteren Luthers bereits im April 1518 abgehaltene Disputation im Augustinerchorherrenstift der kurfürstlichen Universitäts- und Residenzstadt Heidelberg – weniger als ein Jahr nach dem Thesenanschlag an der Wittenberger Schlosskirche. Dass dieser geistliche Austausch überhaupt stattfinden konnte, lag primär an der schweigenden konfessionellen Duldungspolitik Ludwigs V. Ohne offiziell zu konvertieren und damit den Kaiser gegen sich aufzubringen, versprach sich der Kurfürst von seinem Kurs die Stärkung kirchlicher Reformansätze und gleichzeitig die Zurückdrängung des Einflusses Roms in seinen Landen. Zwar vermochte Luther im Verlauf der Disputation die versammelten Theologieprofessoren nicht zu überzeugen, seine Worte fanden dafür aber einen umso größeren Widerhall unter den anwesenden Studenten wie Martin Bucer – zeitweise Pfarrer in Landstuhl – Erhard Schnepf, Johannes Brenz oder Johannes Oecolampad.

Auch unter Niederadel und Reichsrittern verbreiteten sich die neuen Glaubensätze. So war der aus Fulda stammende Ulrich von Hutten, der mit Luther korrespondierte, für die evangelische Bekehrung eines prominenten Pfälzer Waffengenossen verantwortlich: Franz von Sickingen, der spätere Anführer des Landauer Ritterbundes, der Luther Asyl auf seinem Stammsitz, der Ebernburg bei Bad Kreuznach, anbot. Dort, wo sich in diesen Wochen auch Hutten aufhielt, hatten bereits Anfang April 1521 der kaiserliche Kämmerer Paul von Armstorff und der kaiserliche Beichtvater Johannes Glapion vorgesprochen – in direktem Auftrag Karls V. Ziel ihrer Mission war es erstens, die beiden Ritter angesichts des schon laufenden Reichstags vom gewaltsamen Vorgehen gegen die kaiserliche Partei abzuhalten und zweitens, Luther gar nicht erst nach Worms kommen zu lassen. Ersteres gelang, letzteres nicht. Martin Bucer traf Luther auf seiner Reiseroute in Oppenheim und warnte ihn unter Beschwörung seines Feuertodes inständig, seinen Weg in die Bistumsstadt fortzusetzen. Stattdessen möge er sich auf die Ebernburg begeben, um mit Glapion zu verhandeln. Der Reformator soll lakonisch geantwortet haben, wenn der kaiserliche Beichtvater etwas mit ihm zu bereden hätte, könne er gerne nach Worms kommen. Bekanntermaßen bewahrheitete sich Bucers Warnung nicht: Der Wittenberger, dem vom Kaiser für diesen Anlass ein letztes Mal freies Geleit zugesichert worden war, verließ Worms nach seiner Anhörung am 26. April wieder unversehrt. Sein weiterer Weg sollte ihn zunächst auf die Wartburg führen, wo er inkognito das Neue Testament ins Deutsche übersetzen würde.

links: Lukas Cranach d. Ä.: Martin Luther (1483-1546) als Augustinereremit, 1520; rechts: Johannes Schwebel (1490-1540), Profilrelief (Stadtarchiv Zweibrücken)

Dass die politische Schonfrist auch für Luthers Anhänger direkt nach Inkrafttreten des Edikts abgelaufen war, illustriert das Schicksal des aus Pforzheim stammenden Geistlichen Johannes Schwebel (Schweblin), den Markgraf Philipp von Baden wegen seiner Hinwendung zu dem Reformator bald aus seiner Vaterstadt verbannte. Wie andere verfolgte Theologen fand auch Schwebel zunächst im Ebernburger Kreis Sickingens Aufnahme, bevor er sich schließlich seiner wichtigsten Wirkungsstätte zuwenden sollte: Entweder auf Empfehlung Sickingens oder aus Eigenantrieb verlieh ihm der der neuen Lehre gegenüber aufgeschlossene Herzog Ludwig II. 1523 die Hofpredigerstelle in Pfalz-Zweibrücken, wo Schwebel die Einführung der Reformation bis Ende der 1530er Jahre entscheidend vorantreiben sollte.

Doch es blieb keineswegs bei Zweibrücken. Schon 1522 hatte sich in der freien Reichsstadt Landau eine eigene lutherische Gemeinde gegründet, geführt von dem ursprünglich aus Straßburg stammenden Johannes Bader. Bader wiederum war bis zu dessen Volljährigkeit Präzeptor des erwähnten Herzogs Ludwigs gewesen und festigte bei diesem zweifelsohne das reformatorische Gedankengut. Prediger an der Landauer Stiftskirche, sah sich Bader nach seinem religiösen „Outing“ gleich zweimal vor den Schranken des bischöflichen Gerichts, erhielt wegen seiner lokalen Beliebtheit und nicht zuletzt aus machttaktischen Gründen jedoch Schutz und Rückendeckung des Stadtrats. Im kurpfälzischen Amtssitz Neustadt heiratete Stiftsdekan und Dechant Michael Weinmar, Zeuge der Heidelberger Disputation und ebenfalls nachhaltig davon geprägt, im Januar 1523 öffentlichkeitswirksam – ein als demonstrativer Affront zelebrierter Bruch des Zölibats als einem Kernelement der Priesterschaft. Weinmar und andere Geistliche – seinem Beispiel folgten Bucer und Schwebel an den Traualtar – konnten sich hier unmittelbar auf Luthers Forderung zur Aufhebung des Zwangszölibats in seiner programmatischen Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ (1520) berufen. Auch im Nordpfälzer Bergland, konkret in der Kuseler Gegend, war die Zahl der evangelischen Parteigänger bereits vor dem Reichstag gewachsen, nicht wenige begriffen die von Luther propagierten Reformen als den spirituellen Beginn eines neuen Zeitalters. So schrieb der in Altenglan wirkende Pfarrer Nikolaus Diepurger: Bald nach 1520 … laut des Datums ist das Heilig Evangelium herein gebrochen und ein newen Schein der Welt geben. Da ist ein wunderbarlich Duellum erwachßen Vita cum Morte. Mors victa iacet. Vita autem regnat. Laus deo.2

Fazit und Ausblick

Dass Luther als wortgewaltige, charismatische und reichsweit bekannte Persönlichkeit mit den beiden Auftritten in Heidelberg 1518 und Worms 1521 die Verbreitung seiner Lehre in unserer Region noch einmal zusätzlich anschob, dürfte weitestgehend unstrittig sein. Im folgenden Jahrzehnt entwickelte sich der Pfälzer Raum zu einem deutschen Kernland der „Ersten Reformation“. In ihm bündelten sich die gesellschaftlichen Verwerfungen und bald auch handfesten militärischen Folgen der Kirchenspaltung, welche von Anfang an in der theologischen Auseinandersetzung angelegt waren. Zu letzteren zählten in kurzer Abfolge die für Teile der Stadt- und Landbevölkerung äußerst leidvollen Erfahrungen der Sickingischen Fehde 1522/23 und des Großen Bauernkriegs 1525. Das Wormser Edikt, vom Kaiserhof und den katholisch gebliebenen Territorien zur Bekämpfung der Reformation genutzt, konnte davon unabhängig allerdings niemals flächendeckende Wirkung entfalten. Nicht wenige opponierende Reichsfürsten, schenkten ihm schon kurz nach seinem Erlass keine Beachtung oder weigerten sich wie Luthers mächtigster Beschützer, Friedrich der Weise von Kursachsen, gar offen, es in ihren Landen umzusetzen. Als schließlich auf dem Speyerer Reichstag 1529 die evangelischen Reichsstände offiziell als „Protestanten“ gegen die fortgesetzte Geltung des Edikts mobilisierten, war endgültig klar geworden, dass das Vorhaben, die Einheit der Kirche zu erzwingen, angesichts der voranschreitenden Konfessionalisierung realpolitisch gescheitert war. 

Christian Decker

 

[1] Deutsche Reichstagsakten. Jüngere Reihe, Bd. 2, Nr. 80, S. 581/582. Neuhochdeutsche Übersetzung: Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift oder klare Vernunftgründe […] überwunden werde – denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, sintemal es am Tage ist, dass sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben – so bin ich durch die Stellen der Heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann ich und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!  (zit. nach: Walther von Loewenich: Martin Luther. Der Mann und das Werk, München 1982, S. 185, hier zit. nach Zager: Luther vor dem Reichstag, S. 17/18.)

[2] Lat. Übers. letzte Zeile: …Leben mit dem Tod. Der Tod liegt besiegt danieder. Das Leben aber regiert. Gelobt sei Gott. (zit. nach Dieter Zenglein: „Ist das Heilig Evangelium herein gebrochen und ein newen Schein der Welt geben.“ Pfarrer Nikolaus Diepurger von Altenglan als Zeuge der beginnenden Reformation im Kuseler Land, in: Mathias Gaschott/Jochen Roth (Hrsg.): Vestigia II. Aufsätze zur Kirchen- und Landesgeschichte zwischen Rhein und Mosel, Regensburg 2013, S. 35-75, hier S. 56 – hier zit. nach Bonkhoff: Einführung, S. 13). 


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