„Karl is the best.“ – Zum Tod von Karl Mildenberger

Veröffentlicht am 8. November 2018
Eine Autogrammkarte Karl Mildenbergers, auf der in Kampfpose zu sehen ist.
Autogrammkarte: Karl Mildenberger als Europameister, 1960er Jahre (Fotosammlung Stadtarchiv Kaiserslautern)

Lauterer Ausnahmesportler

Karl Mildenberger war eine Boxlegende. Welcher Deutsche außer Max Schmeling schaffte es bis heute schon, um die Weltmeisterschaft im Schwergewicht zu kämpfen und dann auch noch gegen den „besten Boxer aller Zeiten“ – Mildenbergers eigene Worte? Wer wurde seither sechsmal Europameister in der Königsklasse? Trotz seiner großen Erfolge blieb der von seinen Fans liebevoll „Milde“ gerufene Champion ein bodenständiger und freundlicher Mensch, der sich seiner Vaterstadt Kaiserslautern stets verbunden fühlte und dort bis zum Ende seinen Lebensmittelpunkt hatte. Diese Eigenschaft teilte er mit dem anderen großen Sportidol der Stadt, Fritz Walter, mit dem er befreundet war. Letzteres kam nicht von ungefähr, denn das Umfeld des 1. FC Kaiserslautern, dessen Ehrenmitglied Mildenberger war, spielte für ihn besonders in seinen jüngsten Jahren eine wesentliche Rolle.

Karriereanfänge und Europameistertitel

Geboren am 23. November 1937 in der Barbarossastadt wächst Karl Mildenberger in der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit auf. Sein damals bereits ortsbekannter Onkel Richard, Leiter der Boxabteilung des 1. FCK, schafft es, den Jungen für das Boxen zu begeistern – 1946 wird er in die Jugendstaffel aufgenommen. Da gerade einmal ein Jahr nach Kriegsende immer noch 60 % der Stadt Kaiserslautern von alliierten Bombenangriffen zerstört liegen und es de facto keine sonstigen Sportstätten mehr gibt, bleiben Karl nur zwei Optionen: im Sommer Training auf dem Betzenberg-Rasen, im Winter in den Katakomben unter der Nordtribüne. Mit elf Jahren steht er das erste Mal im Ring, tritt 1956 in die deutsche Amateurstaffel ein und vollzieht – nachdem er 1958 die Deutsche Amateurmeisterschaft für sich verbuchen konnte – endgültig den Wechsel ins Profigeschäft. Der Pfälzer boxt in der seltenen Rechtsauslage und gehört damit in seiner Disziplin einer klaren Minderheit an – vielleicht vergleichbar mit der Situation linkshändiger Gitarristen in der Musik, für die es lange überhaupt keine eigenen Instrumentenmodelle gab. Noch nicht der größte Techniker, verfügt er allerdings schon über einen gefürchteten Punch, was viele seine Gegner schmerzhaft zu spüren bekommen.

Zunächst bei dem Stuttgarter Promoter Knörzer unter Vertrag, wird nach dessen Tod 1960 Bruno Müller sein Trainer. Erst unter ihm erhält das Nachwuchstalent nun auch den für einen großen Boxer unabdingbaren technischen Feinschliff. Sieht die Zukunft also zunächst vielversprechend aus, erhalten Mildenbergers Ambitionen aber abrupt einen herben Dämpfer: Ausgerechnet bei seinem ersten Kampf um die Schwergewichtseuropameisterschaft in Dortmund geht er im Februar 1962 gegen den Briten Dick Richardson schon in der ersten Rund K.O. Umgehend verhöhnt ihn der deutsche Boulevard als „Karl den Flachen“ und es dauert für Trainer Müller eine ganze Weile, seinem Schützling wieder das nötige Selbstvertrauen einzuimpfen. Doch Mildenberger vermag den Kritikern schließlich eine beeindruckende Antwort zu geben, indem er das desaströse 62er Ergebnis bei seinem nächsten Kampf um den Europameistergürtel einfach umkehrt. Am 17. Oktober 1964 schickt er in der Frankfurter Festhalle Sante Amonti gleich in der ersten Runde zu Boden! Den nun errungen Titel verteidigt er infolge sechsmal (u.a. 1967 gegen Billy Walker zum zweiten Mal durch K.O.), was bis heute keinem weiteren Schwergewichtler gelungen ist. Erst am 18. September 1968 wird er beim Kampf gegen Henry Cooper in London durch Disqualifikation entthront. Zu seinen Gegnern zählen zeitgenössische Spitzenkämpfer wie Eddie Machen und Amos Lincoln. Insgesamt bringt er es während seiner aktiven Laufbahn auf 62 Kämpfe, davon 53 Siege, sechs Niederlagen und drei Unentschiede

Autogrammkarte auf der zwei kämpfende Boxer im Ring, Karl Mildenberger und Muhammad Ali zu sehen sind. Darauf ein Autogramm Karl Mildenbergers.
Autogrammkarte: Mildenberger vs. Ali, 10. September 1966, Frankfurt (Fotosammlung Stadtarchiv Kaiserslautern)

Sein größter Kampf

Alle bisher genannten Kämpfe Karl Mildenbergers stehen jedoch im Schatten des Kampfes, der ihn zur Legende machen und ihm überdies einen Platz in den Geschichtsbüchern sichern sollte. Am 10. September 1966 tritt er vor über 30.000 Zuschauern im Frankfurter Waldstadion gegen den „Größten“ an: Muhammad Ali, damals von den meisten Reportern noch Cassius Clay genannt, Weltmeister im Schwergewicht und einer der bedeutendsten Sportler des 20. Jahrhunderts. Mildenberger ist der krasse Außenseiter, die meisten Experten gehen von seinem K.O. in den ersten drei Runden aus und die Wetten stehen 10:1 gegen ihn – weshalb sich ARD und ZDF gar nicht erst bemühen, die geforderte Million Mark für die Übertragungsrechte aufzubringen. Doch der Pfälzer wird unter den Augen der Altmeister von 1936, Max Schmeling und Joe Louis, und eines immer wieder „Milde, Milde“ skandierenden Publikums den Kampf seines Lebens bestreiten. Mag Ali vielleicht andernorts noch geprahlt haben, er würde „den Kraut auf den Mond schießen“, zollt er im Vorfeldinterview mit US-Sportreporter Howard Cosell am Mainufer seinem Kontrahenten bereits Respekt. Wenn er selbstredend auch von einem vorzeitigen Ende des Fights zu seinen Gunsten überzeugt ist, erzählt er verwundert von der jüngsten Frage ausgerechnet eines deutschen Journalisten, warum er sich denn zuletzt immer nur Fallobstgegner (Engl. bum = Penner) ausgesucht hätte. Ali sinngemäß dazu: Ich verstehe nicht, warum man Mildenberger Fallobst nennen sollte. Er ist der Champion Deutschlands und Europas, außerdem Weltranglistendritter im Schwergewicht sowohl in den USA als auch international. Was also kann ich mehr tun als gegen den Topmann anzutreten?

Was am betreffenden Abend im Ring folgt, kommentiert Cosell für WABC-TV dann unter anderem so:

Runde 1: „Davor muss Mildenberger sich vorsehen, dieser schnellen Rechten“ [mit der Ali immer wieder durchkam – C.D.] 

Runde 2: „Er hat eine exzellente Rechte gegen den Champion ins Ziel gebracht! … Da ist keine Furcht in Mildenberger und wieder ein guter Treffer!“ 

Runde 3: „Mildenberger jagt ihn, geht aber nicht wirklich auf Fühlung…Da kam der linke Haken durch! Dieses Mal hat er Ali wehgetan! Ich sage Ihnen, Ali spielt nicht mit diesem Mann – nicht im Geringsten!“ 

Runde 4: „Der Champion fängt immer mehr an zu tänzeln während sein Respekt vor seinem deutschen Herausforderer wächst. Dieser Kampf muss für einige Knockout-Experten in Amerika überraschend sein.“ 

Runde 6: „Er [Ali] will es jetzt beenden!“ 

Runde 7: „Max Schmeling sagte eben, der Herausforderer hat gerade in der sechsten und der zweiten Hälfte der dritten Runde furchtbare Prügel bezogen.“ 

Runde 8: „Mildenberger setzt ihm nach! In Clays Gesicht zeigt sich Irritation… Wenn er erwartet hat, dass dieser Mann einfach so umfällt, lag er komplett falsch. Ali muss nun zeigen, dass er den Punch hat und den Mann aus dem Kampf nehmen kann.“ [Niederschlag durch Ali] Da! Mildenberger ist urplötzlich in Schwierigkeiten! Ein Niederschlag und das Anzählen bis acht…Am Ende der Runde eine gnadenlose Tracht Prügel, doch er kommt immer noch zurück.“ 

Runde 10: „Er trifft den Champion mit diesem Bauchtreffer!…Pow! Er [Mildenberger] kassiert einen klaren Niederschlag durch eine rechte Gerade! 

Runde 12: Er kämpft jetzt nur noch mit seinem Mut und Mut allein, Mildenberger. …Rechte Gerade! Aus! Teddy Waltham [brit. Ringrichter] beendet diese Schlacht. Es ist ein technischer Knockout.“

Am Ende konnte der Herausforderer, seit der sechsten Runde zusätzlich durch Cuts um beide Augen behindert, Alis überlegene Form und technische Klasse nicht überwinden. Er verlangte ihm aber alles ab und fügte ihm einige äußerst schmerzhafte Treffer zu, dem Weltmeister machte die in den USA unübliche Rechtsauslage zwischenzeitlich spürbar Probleme. Nach dem Kampf hatte der „Größte“ nur folgendes zu sagen: „Karl is the best.“ Und kurz danach in der Kabine: 

„Mildenberger ist ein wahrer Gentleman, der zweitschnellste Schwergewichtler der Welt, der am besten aussehende weiße Boxer. Ich bin erst in der zwölften Runde mit ihm fertig geworden, in einem Kampf, von dem jedermann geglaubt hatte, ich würde leichtes Spiel haben.“ 

Später fügte er noch hinzu, der Lauterer sei sein härtester Gegner seit dem Titelkampf gegen Sonny Liston gewesen. Die deutsche Presse feierte Mildenbergers Leistung wie einen Sieg, aus „Karl dem Flachen“ war mit einem Mal „Karl der Große“ geworden. So schrieb Hartmut Scherzer für die „Frankfurter Neue Presse“: „Wohl selten wurde ein k.o.-geschlagener Boxer im Triumphzug auf den Schultern aus dem Ring getragen.“ 

Dieser Triumphzug setzte sich bei der Rückkehr nach Kaiserslautern fort. Als Mildenberger durch die Innenstadt fuhr, bereiteten ihm 30.000 begeisterte Mitbürger mit Plakaten wie „Wir grüßen unseren Vizeweltmeister!“ einen rauschenden Empfang. Vergleichbares hatten zuvor eigentlich nur die Fußballweltmeister von 1954 erlebt. Die Kampfbörse des Herausforderers betrug übrigens 220.000 Mark.

Nach dem Karriereende

Als Ali 1967 sein WM-Titel aberkannt worden war, rückte Mildenberger kurzzeitig zur Nummer Eins der Weltrangliste auf. Am 16. September 1967 kämpfte er gegen Óscar Bonavena schließlich noch einmal in Frankfurt um die Schwergewichtskrone, doch leider waren zumindest Ergebnis und Rundenzahl identisch mit seinem Vorjahreskampf: Nach zwölf Runden und vier Niederschlägen unterlag er dem Argentinier. Ein Jahr späte beendete der Pfälzer seine Karriere, um – wie er selbst betonte – noch bei guter Gesundheit aus dem Ring zu steigen. Diese Gesundheit sollte bis ins hohe Alter anhalten. Nach dem An-den-Nagel-Hängen seiner Boxhandschuhe arbeitete Mildenberger zunächst für die Bayerische Brauerei Kaiserslautern und ab 1980 als Bademeister zuerst im Freibad Waschmühle, dann im Hallenbad Kaiserslautern. Parallel dazu trainierte er ehrenamtlich den Nachwuchs der FCK-Boxabteilung. 2005 erwies er seinem erklärten Idol Max Schmeling bei dessen Gedenkfeier in Hamburg die letzte Ehre und musste 2016 ebenso den Tod seines größten Gegners Muhammad Ali betrauern – beide hatten sich über die Jahrzehnte bei einigen öffentlichen Anlässen mehrmals wiedergetroffen. Nun ist Karl Mildenberger selbst am 4. Oktober 2018 im Alter von 80 Jahren in Hohenecken verstorben. Welches hohe Ansehen er bis zuletzt genoss, zeigen neben den zahlreichen Anteilnahme- und Sympathiebekundungen aus Kaiserslautern, der Pfalz und ganz Deutschland auch die bei seiner öffentlichen Trauerfeier im Fritz-Walter-Stadion erschienenen 200 Gäste.

Christian Decker


Literatur und Quellen:


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