Vor 30 Jahren: Die Flugtagkatastrophe am 28. August 1988 auf der Air Base Ramstein

Veröffentlicht am 2. August 2018
Ein stilisiertes gelber Schriftzug Flugtag 88 auf blauem Grund, darunter in weißer Schrift Ramstein Air Base, West Germany und zwei Flügel, einer in deutschen Natiionalfarben und einer in us-amerikanischen.
Programmheft des Flugtags 1988 in Ramstein (Bestand Docu Center Ramstein)

Bis heute erinnern sich viele in der Westpfalz, was sie genau an diesem Tag im August 1988 getan oder wo und wie sie von dem Unglück erfahren haben. Um die 350.000 Menschen waren aus der ganzen Bundesrepublik und den benachbarten Staaten auf die Air Base Ramstein gekommen, um die Vorführungen und die ausgestellten Maschinen und Geräte zu bestaunen. Es herrschte Volksfeststimmung mit riesigen Grillstationen, auf denen Steaks oder Hamburger brutzelten und natürlich dem „Ami-Eis”: Erdbeere, Vanille und Schokolade, im handlichen Päckchen, billig zu erwerben.

Rückblick Flugtage

Begonnen hatte alles in den 1950er Jahren als Teil der Bemühungen des US-Militärs, die Akzeptanz in der deutschen Bevölkerung zu erhöhen. Deshalb wurden die Militäreinrichtungen am „Armed Forces Day“ geöffnet. Das galt übrigens für viele der US-Einrichtungen in Deutschland. Der Ramsteiner Flugplatz verzeichnete aber bereits 1955 mit 20.000 Personen den größten Andrang in der Region. Rasch entwickelte sich dieser Flugtag zu einem Publikumsmagnet. In den 1970er und 1980er Jahren besuchten dann Hunderttausende das jährliche Großereignis. In den 1980ern geriet der Flugtag in Ramstein schließlich in den Fokus der Friedensbewegung. Es kam zu Demonstrationen und Sitzblockaden während der Flugtage und im Gegenzug zu Personen- und Fahrzeugkontrollen. Auch die geplante Veranstaltung 1988 war bereits im Vorfeld in die politische Diskussion geraten.

So opponierte Werner Schramm, der damalige Präsident der Evangelischen Kirche der Pfalz, gegen den Flugtag. Der einstige Oppositionsführer im Mainzer Landtag und spätere Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) rief sogar zu einem „Anti-Flugtag” auf. Im Gegenzug forderte der Regierungspräsident von Rheinhessen-Pfalz, Dr. Paul Schädler (CDU), die Bevölkerung zum Besuch der Air Base Ramstein auf – als Demonstration für die deutsch-amerikanische Freundschaft. Bei der Landesregierung in Mainz nahm man die Proteste „zur Kenntnis”, sah man sich doch durch die hohen Besucherzahlen in der Entscheidung „für einen Flugtag” bestätigt. Trotz der Einwände blieb die Veranstaltung ein großes Volksfest – jedenfalls bis zum Tage des Unglücks am 28. August 1988. Es war ein schöner Sommertag, der tragisch enden sollte.

Karikatur, man sieht eine riesige Menge von überzeichnet dargestellten Menschen, welche einen Betonsteg umringen. Auf diesem Betonsteg steht eine übergroße Patrone und dahinter ein Clown mit einer US Flagge. Unter dem Bild steht Fluchtag Ramstein. Ra
Ein Protestplakat der Friedensbewegung 1988 (Bestand Docu Center Ramstein)

Die Katastrophe

Der letzte Programmpunkt und Höhepunkt der Darbietungen waren die Vorführungen der italienischen Flugstaffel „Frecce Tricolori“. Bei ihrer zweiten Flugfigur „Das durchstoßene Herz” geschah das Unfassbare: Die Maschine des Solopiloten kollidierte mit dem Führungsflugzeug der von links heranfliegenden Fünferformation, schlug ca. 50 Meter vor der Zuschauerabsperrung auf und explodierte auf der Rollbahn. Die Wrackteile und ein Feuerball aus Kerosin rasten in die dort versammelte Menschenmenge. Die durch die Kollision ins Trudeln geratene zweite Maschine stieß mit ihrer linken Flügelmaschine zusammen und stürzte dann auf einen der Rettungshubschrauber. Dabei wurden Pilot und Co-Pilot getötet und der Sanitäter schwer verletzt. Der dritte Jet wurde durch den Zusammenstoß in Stücke gerissen. Die Wrackteile verteilten sich über die Rollbahn. Das alles passierte um 15.44 Uhr innerhalb von geschätzt nur 7 Sekunden.

Ein Feuerwehrmann wurde Augenzeuge des Unglücks:

„…Ich sah, wie das Wrackteil sich überschlug, über die Straße Richtung Tower und in die Zuschauer raste und dann in ein Kühlaggregat…Das abgestürzte Flugzeug zog eine etwa 150 Meter lange Feuerwalze hinter sich her. Viele Zuschauer, die vorne standen, kamen in dem Feuer sofort ums Leben und waren total verbrannt. Mir schien es, als wäre ich in einem Traum. Um von meinem Standort bis zur Stelle zu gelangen, wo der Rest des Flugzeuges oder der Rumpf liegen blieb, kam mir die Zeit unendlich lang vor, da nicht nur Verletzte auf der Straße lagen, sondern auch Tote und es war nicht möglich, denen oder den Wrackteilen auszuweichen, da ja alles übersät war mit Trümmern…“

Die Zuschauer hatten keine Zeit, sich vor herumfliegenden Trümmerteilen, Stacheldraht und dem Feuerball in Sicherheit zu bringen. 31 Menschen, inklusive der drei Piloten, wurden sofort getötet.

Was nun folgte, war Chaos. Man hatte mit diesem Ausmaß nicht gerechnet. Die ca. 450 Schwerverletzten des Unglücks wurden in der Folge in bis zu 46 Krankenhäusern behandelt. Eine Krankenschwester erinnerte sich später:

„…Wir waren überhaupt nicht auf eine Katastrophe vorbereitet. In der Ambulanz waren ständig mindestens 100 Angehörige, die rein und raus liefen und laufend fragten und drängelten. Diese Hektik, ein einziges Telefon, ich sprach wie eine Schallplatte… Viele schrien nach etwas zu trinken. Ich habe zwischendurch Kaffee gekocht. Die Ärzte, die draußen waren, saßen dann hinten im Zimmer und sprachen ununterbrochen und tranken Kaffee. Die mussten sich abreagieren. Ich kam nachts heim und hab nur so gezittert. Drei Tage lang haben wir aus der Innern Abteilung und der Chirurgie nicht geschlafen und konnten kaum etwas essen. Seit der Zeit habe ich stark abgenommen, weil ich’s nicht verkraftet habe… Dabei waren wir gar nicht auf dem Flugplatz – wir sahen nur das Ergebnis! …“

Bis zum 21. November 1988, dem Stichtag, bis zu dem offiziell die Opfer der Katastrophe erfasst wurden, hatte sich die Zahl der Toten auf insgesamt 70 Menschen verschiedener Nationalitäten erhöht.

Man sieht einen auf ein Feld stürzenden explodierenden Jet und davor fliehende Menschen.
Beim Absturz des Jets rast eine Feuerwalze in die Menge. (Foto: Arnaud Beinat, Archiv Docu Center Ramstein)

Konsequenzen

Am Tag nach der Katastrophe wurden Kunstflugvorführungen in Deutschland verboten. Seit 1991 sind sie, unter strikten Sicherheitsauflagen wie Mindestflughöhe und -abstand zum Publikum, wieder erlaubt. Militärische Flugstaffeln auf Jets sind grundsätzlich nur auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung Berlin zugelassen. Neben dem Innenausschuss des Landtages Rheinland-Pfalz beschäftigte sich auch der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages mit der Katastrophe. In den Vereinigten Staaten wurde eine Untersuchung durch das Pentagon veranlasst. Letztendlich konnte die Verantwortung für diesen schrecklichen Unfall trotz Ausschüssen und Untersuchungen nicht geklärt werden. Es gab auch keine klare Entschädigungsregelung. Zwar wurden Ersatzzahlungen in Millionenhöhe geleistet. Sie beschränkten sich aber generell auf die entstandenen Sachschäden, auf medizinische Heilungskosten und die zugefügten physischen Schmerzen. In Einzelfällen sprach man den Betroffenen nach gerichtlichen Auseinandersetzungen Schadensersatz für erlittene Ängste zwischen 3.000 und 5.000 DM zu. Für viele von ihnen waren aber mit dem Ausheilen der körperlichen Wunden die Folgen der Katastrophe noch lange nicht behoben. Eine Sammelklage von Opfern auf eine entsprechende Entschädigung wegen posttraumatischer Beschwerden wurde 2003 vom Landgericht Koblenz abgelehnt.

Um den traumatisierten Zuschauern, Helfern und den trauernden Hinterbliebenen zu helfen, wurde auf Initiative von Sybille und Dr. Hartmut Jatzko sowie Heiner Seidlitz von der Telefonseelsorge in Kaiserslautern 1989 die psychosoziale Nachsorgegruppe der Flugtagkatastrophe von Ramstein gegründet. Ca. 200 Personen fanden dort Hilfe. Manche stießen erst viele Jahre später dazu. Diese Nachsorgegruppe leistete auf vielen Gebieten Pionierarbeit. Ihre Auswertungen und die Erfahrungen führten zu bundesweiten Konsequenzen: Man erkannte die Notwendigkeit zur Schaffung von Hilfsorganisationen wie Notfallseelsorge, Kriseninterventionsdiensten sowie des Einsatzes eines „Leitenden Notarztes“ vor Ort. Des Weiteren wurden gemeinsame Katastrophenübungen von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten eingeführt. Außerdem wurden die in Deutschland bis 1988 verwendeten Infusionskanülen mit Rekord-Konus durch solche mit international genormtem Luer-Konus ausgetauscht.

Gedenkstein vor einem Baum, davor Blumen.
Gedenkstein für die Opfer der Flugtagkatastrophe (Foto: Michael Geib, Archiv Docu Center Ramstein)

Die Flugtagkatastrophe vom 28. August 1988 auf der Air Base Ramstein sorgte für weltweites Aufsehen und ist bis heute im kollektiven Gedächtnis der Menschen in der Region, aber auch in ganz Deutschland geblieben. Ein Umstand, der womöglich der umfassenden Dokumentation durch Fotos und Videoaufnahmen geschuldet ist. Die Jahrestage werden dementsprechend bis heute in der Öffentlichkeit wahrgenommen. In diesem Jahr ist es der Dreißigste. Zwei Gedenksteine erinnern an das Ereignis, um deren Errichtung es in den ersten Jahren noch Diskussionen gab. Der eine befindet sich auf dem Gelände des Flugplatzes. Der privat finanzierte andere mit den Namen der Opfer steht außerhalb des Flugplatzes an der Zufahrt zum Westtor. Das Docu Center Ramstein widmet diesem Thema auf seinem Ausstellungsgelände einen eigenen Container.

Das Schlusswort gehört Roland Fuchs, einem der Opfer:

„Ramstein kann ich nicht vergessen. Aber ich lernte damit zu leben. Wenn jemand sagt, „es sind nun doch schon so viele Jahre vergangen, warum immer noch drüber reden müssen? Warum immer noch daran denken?“ Dann sage ich, dass auch nach so vielen Jahren meine Lieben nicht wieder lebendig werden und das mir auch nach so vielen Jahren immer noch keine gesunde Haut nachgewachsen ist.“

Michael Geib


Literatur und Quellen

Weiterführende Informationen zur Geschichte der US-Truppen in Rheinland-Pfalz


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