Jeanbon Saint-André

Vor 200 Jahren gestorben: Jeanbon Saint-André - Pfarrer - Jakobiner - Präfekt

Veröffentlicht am 10. Januar 2013
Kupferstich Porträt von Jeanbon Saint-André im Profil und in Uniform.
Jeanbon Saint-André

Am 10. Dezember 1813 starb in Mainz Jeanbon Saint-André, seit 1801 Präfekt des Departements Donnersberg. In Mainz sammelte Napoleon Ende 1813 die  Reste der bei Leipzig geschlagenen französischen Armee. In der Stadt herrschte ein unvorstellbares Chaos. 18.000 Soldaten und 2.000 Zivilisten starben an Typhus unter ihnen auch Jeanbon, der sich beim Besuch der Kranken angesteckt hatte. Als Napoleon das frühere Mitglied des Nationalkonvents und des berüchtigten Wohlfahrtsausschusses zunächst zum Generalkommissar für die neuen französischen Departements Roer, Rhein-Mosel, Saar und Donnersberg und später zum Präfekten des Donnersberg-Departements ernannte, hatte der 52-Jährige ein bewegtes Leben voller eigenartiger Wandlungen hinter sich.

1749 als Sohn einer Hugenottenfamilie in Montauban im Südwesten Frankreichs geboren, hatte er zunächst eine Ausbildung zum Schiffskapitän gemacht, war aber  mehrmals in Seenot geraten. Daraufhin entschied er sich, protestantische Theologie zu studieren. Mit 24 Jahren wurde er Pfarrer in Castres, später in seiner Heimatstadt Montauban. 1792 wurde er als Abgeordneter in den Nationalkonvent gewählt. Dort hielt er sich zu den Jakobinern, weil sie in seinen Augen am stärksten für Gleichheit und Freiheit, die Ideale der Revolution, eintraten. Seit Sommer 1793 gehörte er dem Wohlfahrtsausschuss an. Beim Sturz Robespierres war Jeanbon nicht in Paris und entging so der Rache der bislang unterdrückten Girondisten. 1795 ernannte ihn die Regierung zum  Konsul in Algier, später im türkischen Smyrna. Nach Napoleons Überfall auf Ägypten nahmen die Türken ihn in Haft und behandelten ihn wie einen Schwerverbrecher. Nach drei Jahren kam er endlich frei.

Einerseits war Jeanbon als Präfekt im System Napoleons mit weitgehenden Befugnissen in seinem Departement ein „kleiner Kaiser“, andererseits unterstand er einer strengen Aufsicht durch die Pariser Regierung. Jeanbon verfolgte in seinem Amt zwei Ziele: er wollte aus den Bewohnern der Pfalz und Rheinhessens in „Gewohnheiten und Sprache“ Bürger Frankreichs machen, war aber auch mit Nachdruck an ihrem Wohlergehen interessiert. Wo immer sich eine Gelegenheit zur Verbreitung der französischen Sprache bot, nutzte er sie. Aber er begriff auch, dass ein Sprachwechsel nicht erzwungen werden konnte. Darum erschienen zum Beispiel seine Verfügungen und die Zeitungen in beiden Sprachen.

Bei seinem  Bemühen um die Wohlfahrt seiner Untergebenen kam ihm seine große Energie, sein außerordentlicher Fleiß und sein Durchsetzungsvermögen sehr zu statten. Nach den Verwüstungen der Kriegsjahre war viel Aufbauarbeit zu leisten. Insbesondere  die Landwirtschaft, der Haupterwerbszweig im Departement, lag ihm am Herzen. Durch Nutzung von Brachland und zuvor sumpfigen Flächen erweiterte er die Anbauflächen. Er kümmerte sich um die Kuhpockenimpfung, führte Merinoschafe aus Spanien und für das staatliche Gestüt in Zweibrücken Hengste aus der Normandie ein. Er erreichte, dass Pfälzer Rinder auch nach Paris verkauft wurden. Ab 1807 bemühte er sich erfolgreich um die Aufhebung des Exportverbots für Getreide, förderte aber auch den Anbau von Klee, Raps, Saubohnen und Gelbrüben. Durch die Kontinentalsperre war der Import von Rohrzucker sehr eingeschränkt; Zucker aus Rüben war der Ersatz. Jeanbon setzte sich dafür ein, dass in seinem Departement besonders viel Zuckerrüben angebaut und in neuen Fabriken verarbeitet wurden.

Auf dem Feld der öffentlichen Sicherheit war die Festsetzung des Räuberbandenführers  Johann Bückler ein viel beachteter Erfolg. Auch nahm es Jeanbon nicht hin, dass Zoll- und Steuereinnehmer mit rigorosen Zwangsmaßnahmen überforderte Schuldner in den wirtschaftlichen Ruin trieben.

Gleich zu Beginn seiner Amtszeit wagte er sich an ein großes Vorhaben, den Bau einer Fernstraße auf dem linken Rheinufer zwischen Mainz und Koblenz. Damit überschritt er seine Kompetenz, obendrein verwendete er dafür Geld, auf das Paris Anspruch erhob. Napoleon war empört. Aber auch er musste einsehen, dass das Vorhaben – auch strategisch –  sehr sinnvoll war und obendrein viele Menschen in Arbeit und Brot brachte.

Dem immer stärker aufkommenden Kaiserkult konnte sich Jeanbon als Präfekt nicht entziehen. So formulierte auch er überschwängliche Grußadressen und Ergebenheitsbekundungen, die das Volk unterzeichnen sollte. Wirklich devot wurde er indessen nicht. In Speyer hatte Jakob Christian Kolb eine Zeitung gegründet und in ihr einen Bericht abgedruckt, in dem von einer Anhänglichkeit der Salzburger an das österreichische Königshaus die Rede war, die es sonst nirgends gäbe. Napoleon erfuhr davon und befahl, die Druckerei still zu legen und Kolb in ein Pariser Gefängnis zu bringen. Jeanbon sollte den Fall untersuchen. „Der Mann hat nur aus Unüberlegtheit gehandelt“ war dessen Resümee. Das hat Kolb geholfen, er musste nicht nach Paris und kam auch bald wieder frei.

Napoleon nannte Jeanbon einen Musterpräfekt. Wir wissen nicht, ob er bei seinem Engagement für das Wohl der Einwohner auch daran dachte, dass er es war, der im September 1793 in den Nationalkonvent jenes Dekret einbrachte, das zur totalen „Ausleerung“ der Pfalz führte, jene schreckliche Not, in der „den Menschen nur die Augen blieben, mit denen sie ihr Elend beweinen konnten“. Immerhin sprach er vor der Mainzer Wissenschaftsakademie 1804 von Situationen in seinem Leben, in denen er zu handeln gezwungen war, ohne genug Zeit zum Nachdenken gehabt zu haben.

Im Umgang kein bequemer Mann und oft genug apodiktisch, ja schroff, und der Sprache des Landes nicht kundig, ist es Jeanbon offenbar doch gelungen, viele der ihm Anvertrauten davon zu überzeugen, dass er ihr Bestes suchte. Das galt gerade auch für die einfachen Leute; so gaben diese ihm wie einem der Ihren einen Spitznamenund nannten ihn „Schinke-Andres“, weil Jeanbon ja wie „jambon“, (französisch für Schinken,) klingt. Der Stadtrat von Mainz anerkannte die Verdienste Jeanbons durch den 1816 gefassten Beschluss, seine Grabstätte für immer zu erhalten und zu pflegen.

Der für die deutschen Bewohner des linken Rheinufers nicht leicht zu ertragenden Franzosenzeit hat Jeanbon Saint-André durch seine Arbeit ein menschliches Gesicht gegeben. Damit hat er auch dazu beigetragen, dass in der Pfalz im 19. Jahrhundert das Erbe der Französischen Revolution, die Forderung nach Freiheit und Gleichheit, lebendig blieb und mit größerem Nachdruck vertreten wurde als im übrigen Deutschland. Der einstige Hugenottenpfarrer hat am Weg nach Hambach mitgebaut.

Wolfgang Kohlstruck


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