Rudolf Morsey

Vor 75 Jahren: Bekannter Speyerer und Neustadter Historiker wird in Westfalen geboren

Veröffentlicht am 10. Januar 2002
Porträtphotographie Rudolf Morsey im braunem Anzug mit hellblauem Hemd und schwarzer Krawatte mit weißen Punkten.
Der Historiker Rudolf Morsey

Der Rang eines bedeutenden Historikers bemisst sich – glücklicherweise – noch nicht nach der Zahl seiner Auftritte in Fernsehtalkshows, politischen Expertenrunden oder auf internationalen Kongressen. Denn hiermit kann Rudolf Morsey aus Neustadt-Geinsheim, der am 16. Oktober 1927 geboren wurde, nicht dienen. Andererseits gehört der emeritierte Professor der Deutschen Verwaltungshochschule in Speyer, trotz eines wissenschaftlichen Lebenswerkes von nachgerade immensem Umfang, auch nicht zu jenen Stubengelehrten, die ihren Elfenbeinturm nur selten und ungern verlassen. Die intensive Mitarbeit in wissenschaftlichen Organisationen, Gremien und Beiräten hat er nie gescheut und trotz seines Alters bis heute fast unvermindert beibehalten.

Wie seine gesamte Generation wurde der gebürtige Westfale durch Nationalsozialismus und Kriegserfahrung und durch den Willen geprägt, nach der deutschen Katastrophe alles zum Gelingen des zweiten deutschen Anlaufs zur Demokratie zu tun. Nach dem Abitur in Münster studierte er an der dortigen Universität als Schüler Kurt von Raumers und Werner Conzes. Prägend für ihn wurde die Begegnung mit dem legendären, im NS-Staat verfolgten “Zentrumsprälaten” Georg Schreiber, einer Schlüsselfigur der katholischen Kulturpolitik in der Weimarer Republik. Nicht zuletzt durch Schreiber und die durch ihn vermittelten Kontakte zu wichtigen Zeitzeugen kam Morsey – nach einer brillanten Promotion über “Die oberste Reichsverwaltung unter Bismarck” (1957) – zu seinem wichtigsten Thema: der Geschichte des politischen Katholizismus im Allgemeinen und der Zentrumspartei sowie der christlichen Demokratie im Besonderen. Ihr hat er eine ganze Reihe bis heute grundlegender Quelleneditionen und zwei gewichtige Monographien gewidmet, darunter seine Bonner Habilitationsschrift “Die deutsche Zentrumspartei 1917-1923”. Zum Standardwerk wurde auch das gemeinsam mit seinem Kollegen Erich Matthias herausgegebene Sammelwerk über das Ende der deutschen Parteien 1933.

Gleich nach der Habilitation wurde Morsey zum Ordinarius für Neuere Geschichte nach Würzburg berufen, wo er von 1966 bis 1970 lehrte. In jenen Zeiten waren die deutschen Universitäten nicht gerade Oasen der wissenschaftlichen Kontemplation und des ruhigen Arbeitens, und dies mag wohl einer der Gründe dafür gewesen sein, dass er 1970 einem Ruf an die kleine, aber überaus renommierte Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer folgte. Ihr ist er bis zur Emeritierung im Jahre 1996 treu geblieben. Auch ein Ruf nach Köln auf den Lehrstuhl Theodor Schieders vermochte ihn aus Neustadt an der Weinstraße und aus der Pfalz, die ihm im Laufe der Jahre zur zweiten Heimat geworden ist, nicht wegzulocken. Neben der Lehre und einer mit unverminderter Kraft weiter betriebenen, intensiven Forschungstätigkeit agierte er gleichzeitig als einer der führenden Wissenschaftsorganisatoren seines Faches: 30 Jahre lang (1968-1998) leitete er als Präsident die “Kommission für die Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien” in Bonn, er amtierte mehrere Jahre als Vorsitzender der “Arbeitsgemeinschaft außeruniversitärer historischer Forschungseinrichtungen”, er gehörte zu den Mitbegründern der “Kommission für Zeitgeschichte”, die der Erforschung vorrangig des modernen politischen Katholizismus gewidmet ist, und er hat schließlich seit 1977 das gewichtige Amt des Vizepräsidenten der Görresgesellschaft inne.

Seine Arbeitskraft und seine Produktivität sind ebenso legendär wie seine wegen ihrer Genauigkeit und ihres Scharfsinns gefürchteten Gutachten, deren Zahl in die Hunderte gehen dürfte. Ausgestattet mit einem außerordentlich präzisen Gedächtnis nahm und nimmt er wissenschaftliche Schluderei und Oberflächlichkeit erbarmungslos aufs Korn – und Zeitgeschichtler mehrerer Generationen sind ihm im Stillen dankbar dafür, dass sie vor der Veröffentlichung ihrer Arbeiten ein Morsey-Gutachten für die gründliche Überarbeitung ihrer Texte nutzen konnten. Seine eigenen Arbeitsthemen hat Morsey beständig ausgebaut. Schon bald ging er von der Weimarer Republik zur Frühgeschichte der Bundesrepublik über. Sein in vielen Auflagen vorliegendes Handbuch ihrer Geschichte bis 1969 belegt die intime Vertrautheit mit dem Stoff und zeichnet sich zudem, wie alle Schriften Morseys, durch eine schnörkellose, klare Sprache und feste, gut begründete Urteile aus. Das Gleiche gilt für seine Biographie Heinrich Lübkes, die er 1996 vorlegte. Den unausgegorenen politologisch-soziologischen Fachjargon, der in den 70er Jahren in das Fach herüberschwappte, hat er zum Vorteil seiner Schriften konsequent ignoriert.

Obwohl sich Rudolf Morsey mit einer Fülle zeitgeschichtlicher Themen beschäftigt hat, sind es vor allem zwei historische Figuren, die ihn unausgesetzt beschäftigt haben: Heinrich Brüning und Konrad Adenauer. Morseys Brüning-Forschungen sind wegen ihrer intensiv reflektierenden und präzis analysierenden Quellenkritik legendär geworden und behalten auch, ungeachtet ihres Gegenstandes, als methodologisch beispielhafte Analysen ihren Wert. Seine Arbeiten zu Adenauer, dessen Werke Morsey mit herausgibt, zeigen ihn als den neben Hans-Peter Schwarz fraglos besten Kenner des ersten Kanzlers der Bundesrepublik und seiner Zeit. Nicht zufällig hat er daher 1996 seine Speyerer Abschiedsvorlesung dem Thema “Brüning und Adenauer – Zwei Wege deutscher Politik im 20. Jahrhundert” gewidmet. Wer diesen letzten großen Auftritt Morseys an seiner langjährigen Wirkungsstätte – eine wirkliche “Vorlesung” im besten Sinne dieses Begriffs – miterlebt hat, wird sich an sein Schlusszitat, einen Ausspruch Adenauers, erinnern:

“Ich habe den Wunsch, dass später einmal … von mir gesagt werden kann, dass ich meine Pflicht getan habe.”

Rudolf Morsey hat mehr als nur das getan.

Dr. Hans-Christof Kraus


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