[UPDATE April] Tagebuch 1794: Die Pfalz während des Ersten Koalitionskriegs
von Karl August Köster (1776–1848) aus Friedelsheim
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Historische Kriege werden oft als eine Abfolge von Schlachten, Belagerungen, Siegen und Niederlagen dargestellt. Gelegentlich werden auch die Bewegungen der Heerestruppen oder die Verlustzahlen bei Zusammenstößen beschrieben. Was jedoch häufig vernachlässigt wird, ist die Situation all derjenigen, die im Krieg lediglich eine passive Rolle spielen: Die Bevölkerung der Landesteile, die von den Durchzügen verschiedener Armeen betroffen sind, die die Last der notwendigen Versorgung der in der Nähe lagernden Truppen ertragen und bewältigen müssen oder die unter der Zerstörung wichtiger Infrastruktur leiden.
In unserer neuen Reihe Historische Fundstücke wollen wir im Laufe des Jahres den Fokus auf diese unfreiwilligen Kriegsteilnehmer mit einer besonderen Quelle richten: einem Tagebuch aus dem Jahr 1794, verfasst von dem damals 17-jährigen Karl August Köster (11.12.1776–20.3.1848). Fixpunkt des Tagebuchs ist das elterliche Weingut, der ehemalige Ramser Hof in Friedelsheim nahe Bad Dürkheim, das Köster nach seinem Studium und der Promotion in Marburg (ab 1796) und Heidelberg (ab 1799) übernehmen sollte. In Dürkheim arbeitete er zudem als Notar. Als Mitglied des Landraths des Bayerischen Rheinkreises war er lange Jahre dessen Präsident und darüber hinaus mehrfach Abgeordneter des Bayerischen Landtags, wo er als Mitglied der entschiedenen liberalen Opposition bekannt war. Krankheitsbedingt musste er 1837 sein Landtagsmandat abgeben. Elf Jahre später stirbt Köster im März 1858 in Friedelsheim.
Sein Tagebuch, das erstmals 1910 in den Leininger Geschichtsblättern abgedruckt wurde (Leininger Geschichtsblätter 9.1910 H. 7–11), zeichnet Köster als genauen Beobachter der lokalen Situation aus: Die mehrmonatige Belagerung der französischen Festung Landau durch die alliierten Truppen aus österreichischen und preußischen Heeresverbänden während des Ersten Koalitionskrieges war am 28. Dezember 1793 durch das Herannahen eines hoch motivierten Entsatzheeres gescheitert. Der Schlachtruf Landau ou la mort – ›Landau oder der Tod‹ hatte die republikanischen Truppen angetrieben. Für die Gegend um Dürkheim bedeutet dieser Rückzug zuerst einen Durchmarsch der preußischen Truppen und später die Ankunft der Vorhut der französischen Rheinarmee. Neben den Plünderungen, die unmittelbar während des Durchmarschs der Truppen zu erleiden waren, kamen für die Bewohnerinnen und Bewohner des nun besetzten Landstrichs ab diesem Zeitpunkt auch die Abgabe von Kontributionen zur Verpflegung und zum Unterhalt der Soldaten als Belastung hinzu.
In der neuen Reihe Historische Fundstücke, von der das Köster’sche Tagebuch der erste Beitrag ist, soll es weniger um eine historische Darstellung im klassischen Sinn gehen als vielmehr um die Quellen selbst. Sie stehen im Mittelpunkt und sollen neben einer flankierenden historischen Einordnung für sich sprechen. Entsprechend werden wir im Laufe dieses Jahres Karl August Köster bei seinen Erlebnissen vor 230 Jahren begleiten können. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen von Kösters erstem Tagebucheintrag vom Januar 1794.
Maximilian Lässig
Januar 1794
Auf den zweiten Weihnachtstag (Donnerstag, 26. Dez. 1793) haben wir die erste Nachricht bekommen, daß die Franken die Linien der Alliierten durchbrochen hätten und Landau, das schon sechs Monate* eingeschlossen war, entsetzen wollten. Nun hörte man den Kanonendonner immer näher kommen, unsre Angst nahm immer zu, da Sonntag (29. Dez.) viele Marketender, Bagage und Blessierte ankamen und einstimmig aussagten, Landau sei schon auf einer Seite entsetzt. Die Nachrichten, die man von dem Betragen der Franken bekam, waren so durchkreuzend*, daß man nicht wußte, was man glauben sollte. Bald hieß es, sie brennen die Dörfer ab und niemand sei seines Lebens sicher, bald kam wieder die Nachricht, sie würden uns nicht so grausam behandeln. Mit Furcht und Schrecken erwarteten wir unser Schicksal. Die Straßen waren immer mit Menschen besetzt, die ihre beste Habe hüteten.
Heute und in der (vergangenen) Nacht kamen schon etliche Regimenter preußische Infanterie hier durch, am Gebirg bei Neustadt und Mußbach sah man ein starkes Kanonenfeuer, welches 2 Stunden lang dauerte. Die preußische Armee zog sich immer besser zurück; Dienstag (31. Dez. 93) abends kam die Arrieregarde* hier an und die Dragoner vom Regiment Katt wurden bei uns einquartiert, welche den andern Morgen fortgingen.
Mittags passierte dann das Wolfrathische Husarenregiment hier durch, das ein sehr starkes Kommando hinterließ, das die Vorposten besetzte. Gegen vier Uhr zogen sie sich auch zurück. Gleich darauf kam ein franzosischer Chasseur à pieds*, welcher uns avertierte*, daß eine Kolonne von 10 000 Mann am Tiergarten ankommen würde und daß man seine besten Sachen verbergen solle. Zugleich sagte er, daß er von jeder Gemeinde für diese Warnung etwas bekäme. Mein Vater gab ihm einen kleinen Taler. Dann schoß er seine Flinte ab und ging.
Bald darauf kamen Husaren vom Regiment Estherhazy und begehrten Brot und Wein, zu uns kamen aber, die nur Wein begehrten.
Gleich darauf kamen 700 Husaren, von welchen wir 20, und ein Bataillon Infanterie, von welchen wir den Kommandanten, 2 Capitäne, 2 Lieutenants und den maître de quartier* bekamen. Ihr Anblick setzte uns anfangs in Schrecken, da jeder eine Büchse, 2 Pistolen und große Schnurrbärte trug. Uebrigens betrugen sie sich recht ordentlich. Die Husaren aber begehrten, was ihnen einfiel. Abends kamen die Leute aus dem Ort und beklagten sich bei uns, daß die Soldaten ihnen alles nähmen. An mehreren Plätzen machten sie an den Häusern so große Feuer an, daß das Dorf in Gefahr war, abzubrennen. Einmal hatten sie sogar zwischen den Scheuern große Feuer angezündet und hinter den Hofställen war das Feuer so groß, daß es an den Ziegeln widerschlug.
Den andern Tag war Rasttag. Die Soldaten, die am Tiergarten sich gelagert hatten, kamen nun haufenweis herein ins Dorf und holten Dörrfleisch, Mehl. Brot, Butter und alles Küchengeschirr, Kübel, überhaupt alles, was sie nur brauchen konnten. Die Volontairs* stürmten die Keller und ließen hie und da den Wein laufen, Hühner, Gänse, Enten, Tauben, Schweine wurden totgeschossen und mitgenommen. Strümpfe, Hemden, Weißzeug wurden bei dieser Gelegenheit nicht vergessen. Unsere Einquartierung war so ordentlich und ließ Niemand in unsern Hof. Einige derselben begehrten Hemden von uns, die wir ihnen auch gaben. Die Offiziers ordneten an diesem Tage wegen der vielen Unordnungen reitende und Fußpatrouillen an, was aber wenig half. Und so gings auch die ganze Nacht. Der Grenadierhauptmann Balle, der bei uns einquartiert war, ein rechtschaffener Mann, gab uns nachher eine Sauvegarde* von 20 Mann. Freitag (3. 1. 94) morgens marschierte dann die Kolonne hier durch, wovon die Kavallerie besonders schön war.
Am Lambsheimer Wald machte die Kolonne halt und gegen Mittag wurde stark daselbst kanoniert. Abends zog sich die Kavallerie hierher zurück, die Infanterie blieb am Walde stehen. Wir bekamen das Haus wieder voll Husaren nebst 6 Offizieren. Den andern Morgen stiegen die Husaren über das Thor und zu den Fenstern hinein und trugen den Wein in Kübeln und Logeln* fort, welches bis in die Nacht so fortging. Die Offiziere wollten es verhindern, aber vergeblich. Deswegen gingen 2 Offiziere mit meinem Vater nach Ellerstadt, wo das Hauptquartier war und bekamen vom General den ausdrücklichen Ordre, daß der Oberst des Husarenregiments sogleich diese Unordnung abstellen solle. Der Oberst las ihnen die Ordre vor und doch wollten sie nicht gehen. Da er ihnen aber sagte, er würde »zu Pferde blasen lassen«*, gingen sie endlich fort. An diesem Tage kostete es uns allein 12 Ohm* Wein und 80 Zentner Kleehen.
Sonntags den 5ten Januar ging die Kavallerie und die ganze Armee vorwärts.
Nun wurde dem Oberamt Neustadt 4 Millionen (fl.*) Brandschatzung angesetzt nebst einer Lieferung von vielen 1000 Hemden, Strümpf, Schuh, usw. Dazu sollte unser Ort 15000 fl. nebst einer Anzahl Hemden etc. beitragen. Da diese ungeheure Forderung unmöglich war zu erfüllen, gab uns das Oberamt den Rat, uns der Nation ganz zu übergeben, welches auch schon mehrere Ortschaften getan hatten.
Den 7ten Januar wurden abschläglich 600 fl. Kontributionsgelder an die dazu bevollmächtigte Municipalität Neustadt abgeliefert. Dann wurden an Kleidungsstücken geliefert: Röcke 23, Hosen 24, Schuh 18, Hemden 107. Die Taxe davon macht 253 fl.
Auch kam heute der Kommissar Gerber und nahm 51 Kühe und 3 Ochsen weg, welche nach Neustadt getrieben wurden.
- Den 8ten kam ein Befehl vom Arondissement Neustadt, daß die Stadt Speyer die zum Arondissement N. gehörigen Dörfer in keiner Weise anziehen solle.
- Den 9ten wurden an den Kommissär Gerber 900 Stück Schafe geliefert, ferner eine Kuh.
- Den 10ten Januar wurden nach Neustadt 8 Malter* Hafer, 127 Gebund Stroh und 1 Kuh geliefert.
- Den 11ten Januar wurden nach Neustadt 7 Malter Hafer, 163 Rationen Heu à 15 Pfd., 132 Laib Brot à 3 Pfd., und 1 Kuh geliefert.
- Den 13ten Januar wurde nach Neustadt 400 Pfd. Brot, 170 Rationen Heu à 15 Pfd. geliefert.
- Den 16ten wurden nach Neustadt ins Magazin der Republik 400 Pfd. geliefert.
- Den 18ten wurden 8 Rationen Hafer und 8 Rationen Heu geliefert.
- Den 21ten wurden 192 Pfd. Brot ins Magazin der Republik nach R. geliefert, ferner wurde nach Wachenheim 1 Wagen Heu geliefert.
- Den 22ten wurden 102 Rationen Hafer, 102 Rationen Heu nach N geliefert, ebendahin 400 Pfd. Brot ins Magazin der Republik.
- Den 23ten wurden 8 Rationen Heu und 8 Rationen Hafer geliefert an Offiziers, die hier durchkamen.
- Den 24ten kam ein Befehl von Lambsheim, 400 Pfd. Brot und 100 Stück Hornvieh zu liefern.
- Den 25ten wurden 98 Säck allerlei Früchte an den Kommissär Maure geliefert und 26 Stück Hornvieh.
- Den 26ten wurden an den Kommissär Voltz 24 Kühe geliefert.
- Den 27ten lieferten wir ins Magazin nach Lambsheim 400 Pfd. Brot.
- Den 28ten wurden 2 Wagen Heu nach Lambsheim geliefert.
- Den 29ten wurden auf eine Wacht 275 Pfund Brot geliefert. Ferner wurde der Ueberrest der Schafe auf der Weide hinweggenommen, welcher noch in 150 Stück bestand.
In dieser Zeit hatten wir oft Zuspruch von Offiziers, davon etliche krank waren und 8 Tage bei uns blieben.
Den 30ten Jan. marschierte die Rheinarmee über Ellerstadt, Gönnheim und Meckenheim zurück, bei welcher Gelegenheit mehrere von den uns bekannten Offiziers zu uns kamen, auch wurde heute Mittag die Sauvegarde abgerufen. Als sie kaum fort waren, kamen 8 Dragoner und begehrten Hemde[n], Schuh und Halstücher. Wir gaben ihnen Geld, um sie los zu werden, sie nahmen aber dasselbe, stiegen von den Pferden und nahmen noch im Haus dazu, was ihnen gefiel. Die Nacht hindurch war es ganz ruhig.
Den 31ten Jan. Wir glaubten nun, daß alles vorüber wäre, als 2 Volontäre kamen, welche sagten, daß bald eine Kolonne von 10 000 Mann von Oggersheim kommen und hier durchmarschieren würde, bald darauf kam sie auch wirklich hier an. Die Hälfte davon ging ganz ruhig hier durch, die andere Hälfte aber stürmte haufenweise in die Häuser und plünderten alles rein aus. Das Vieh wurde hauptsächlich mitgenommen und fortgetrieben, auf der Straße sogar rissen sie den Leuten die Halstücher und die Hüte vom Kopfe, Schuhe von den Füßen. In unser Haus stürmten sie hundertweis hinein, da die Türen nicht offen waren, stießen sie dieselben mit ihren Flintenkolben ein. Die Bette[n] schnitten sie auf, um die Ueberzüge zu bekommen, wenn hundert hinaus waren, kamen wieder soviel andre herein, wir riefen die Offiziers um Hilfe an, aber es half nicht viel. Manche gaben sich alle Mühe, das Eindringen zu verhindern, aber umsonst; einer stellte sich eine Zeitlang mit dem bloßen Säbel unter die Türe, aber die Volontairs schlugen die Flinten auf ihn an und er mußte es sein lassen. 5 Kühe, die wir noch hatten, nahmen sie auch mit fort, alle Hühner, Enten, Gänse, Tauben, Schweine, überhaupt alles wurde heute weggenommen.
Bis Mittag war nun die Kolonne durch, als 2 Bataillone, die schon halbwegs Dürkheim waren, wieder zurückkamen und hier und in Gönnheim einquartiert wurden, wir bekamen den Obrist und einige Offiziers. Um nun das Eindringen in unsern Keller und die Unordnung zu verhüten, gaben wir dem Bataillon 6 Ohm Wein, den wir in einem großen Bauchzuber trugen, der im Hofe stand.
Unterdessen wurde Generalmarsch* geschlagen und das Bataillon mußte nach Gönnheim, weil sich Preußen sehen ließen. Nach Verlauf einer Stunde kamen sie wieder hierher. Nun teilte der Kommandant selbst den Wein unter sie aus. Gegen Abend kam das Bataillon auch noch von Gönnheim und wurde zu dem andern einquartiert, davon wir auch den Kommandant und 3 Offiziers bekamen. Nachts kamen noch 50 Dragoner, die bei Gönnheim die Vorwacht hatten und deren Offizier wir auch noch ins Quartier bekamen. Die Nacht blieben nun die zwei Bataillone hier. Viele Volontärs kamen von ihren Bedetten und trugen den Wein im Kübel hinaus zu ihren Kameraden. Gegen Tag kamen die 50 Dragoner alle in unser Haus und holten sich Fourage*, nebst dem Hafer nahmen sie noch alles, was wir auf dem Speicher versteckt hatten. Unsere Ställe, Scheuern, der ganze Hof, war mit Soldaten angefüllt. Morgens gingen die 2 Bataillone fort nach Dürkheim.
In diesen traurigen Wochen hat unser Dorf ohne die Lieferungen 30 Wagen Heu durch die Einquartierung verloren, und bei dem letzten Durchmarsch der Armee 30 Säcke Frucht. Die erste Plünderung beträgt nach Angabe der Gemeinde 12596 fl. Die Plünderung der Moselarmee... [eventuelle Kürzung durch Leininger Geschichtsblätter, ML]
Ferner wurden 52 Kühe 4 Ochsen 7 Pferde geplündert. Auch wurden fast alle Pferde, die für die Franzosen fröhnen mußten, samt den Fuhrwerken von denselben weggenommen. Unser Knecht, der mit dem Wagen bei der Armee war, ging mit dem Wagen durch und kam heute hier an.
Der Februar brachte für Karl August Köster und seine Familie keine Erleichterung. Im Gegenteil: Wenn man aufgrund seiner Ausführungen des vorangegangenen Monats den Eindruck gewinnen konnte, im Weingut wie auch im gesamten Dorf Friedelsheim sei nichts mehr zu plündern und zu requirieren, wird erst recht durch Kösters Bericht vom Februar deutlich, weshalb der Winter 1793/1794 als »Plünderwinter« im kulturellen Gedächtnis der Pfalz verhaftet blieb. Während ungefähr 10 % der Bewohnerinnen und Bewohner vor den Franzosen über den Rhein flohen, versuchten viele Bauernfamilien sich und ihr Vieh durch die Flucht in den Pfälzer Wald zu retten. Die Familien Köster hingegen versuchte ihren Besitz vor Ort zu schützen, was ihnen nur mäßig gelang.
Februar 1794
Samstags wars nun ganz ruhig. Sonntags hörte man in Wachenheim trommeln, wo sie sich einquartiert hatten, und man glaubte, sie würden sich in ihre Linien zurückziehen. 8 Tage lang wars nun ganz still und es kam auch keine Patrouille hierher. Die Franzosen hatten die Linie von Speyer bis Wachenheim und Lautern bezogen.
Den 10. Februar kamen wieder die Husaren hierher, tranken Wein bei uns und gingen wieder fort.
Den 11ten kam der Kommissär Maure hierher mit einem Kommando und setzte unserm Dorfe 200 Malter Frucht an. Er visitierte die Keller und Speicher und sagte, daß er würde morgen unsern Wein und Branntwein holen lassen. Auch unsern gedörrten Krapp* und Rübs. Alles wollte er in Requisition setzen. Man sagte: „Nichts als die Augen, euer Unglück zu beweinen, soll euch bleiben.“
Den 13ten kam Maure mit einem 100 Mann starken Kommando, umstellte das Dorf und ließ 12 Wägen mit Wein und Branntwein laden; bei dieser Gelegenheit wurde viel Wein von den Betrunkenen, die mit Kübel und Logel auf den Boden fielen, verschüttet.
An diesem Tage verloren wir 50 Ohm vom besten Branntwein, davon die Ohm selbigmal 60 fl. kostete, und 4 Fuder* Wein. davor wir etliche Monate per Fuder 30 Louisdor haben konnten. Den 17ten kam der Kommissär und holte noch 8 Fuder Wein von der nämlichen Güte. Im Keller floß der Wein auf dem Boden. Bei dieser Gelegenheit verloren wir auch 10 neue einhalb Fuderfässer, welche gering angeschlagen 200 fl. wert waren. Ferner ließ heute der Kommissär 50 Malter Frucht von den Speichern wegnehmen.
Die Patrouillen kamen nun täglich hierher und weil niemand mehr Wein hier hatte, mußten wir ihnen jedesmal zu trinken geben, so daß es manchen Tag 4–5 Viertel* kostet. Außer diesen Patrouillen kamen unaufhörlich die roten Husaren, die zu Wachenheim, Forst und Niederkirchen lagen, und suchten Fourage.
Nun ging das Elend erst recht an. Das Wenige, was die Leute von den Plünderungen der Armeen noch erhalten hatten, wurde ihnen jetzt von Tag zu Tag genommen. Brot, Butter, sogar Löffel, Messer, Gabeln, alles mußte man verstecken, wenn man gegessen hatte. Die Leute wurden immer von den Soldaten so geängstigt, daß viele vor Schrecken starben. Die Patrouillen, die bis nach Ellerstadt und Lambsheim ritten, brachten oft Kühe, Pferde und Schweine mit, Kleidungsstücke und allerlei andere Sachen, die sie genommen hatten. 3 Monate lang kam ich nicht aus den Kleidern, weil die Patrouillen oft nachts 3 Uhr schon kamen und Wein tranken. Solche Patrouillen waren oft 20 Mann Husaren und 30 Mann Infanterie stark.
Den 19ten kam ein Kommando 150 Mann stark von den chasseurs à cheval*, die alle Speicher aussuchten und von allen Sorten Früchten 57 Malter wegnahmen. Auch kam heute ein Kommando von Wachenheim, welches 15 Malter Spelz und Hafer holte.
Den 20ten Februar wurden alle Häuser und Scheunen durchsucht und an Früchten fortgeführt 62 Malter. Ferner wurden auch bis zu Ende dieses Monats 20 Wagen Stroh geholt.
Den 21ten kam der Agent maréchal*, welcher den Auftrag hatte, die Glocken und die eisernen Reife im Schloßkeller zu holen. Es wurden dabei 3 Wägen eiserne Reife nebst der Glocke auf dem Schloßturm und 8 Wägen Stroh geholt. Die große Glocke auf der Kirche wurde ihnen wieder mit 300 L. en assignats* abgekauft.
Zwar ist Kösters Eintrag für den März 1794 recht kompakt. Dennoch beschreibt er sehr eindrücklich die Willkür, die eine unbewaffnete Bevölkerung zu erleiden hat, wenn sie bewaffneten Soldatentruppen hilflos ausgeliefert ist. Der Versuch, diesem Machtgefälle auf offiziellem Weg etwas entgegenzusetzen, führt dabei zu keiner Verbesserung der Zustände, sondern nur zu harschen Vergeltungsmaßnahmen. Auch, wenn es in einem Gebiet gerade nicht zu direkten militärischen Auseinandersetzungen kommt, zeigt Kösters Beispiel, dass diese scheinbar friedliche Zeit für die betroffene Bevölkerung keine Verschnaufpause darstellte. Im Gegenteil. Eine Besatzung, die nur auf der willkürlichen Macht Bewaffneter gegenüber Unbewaffneten fußt, wodurch eine zivile Durchsetzung von Rechten unwirksam wird, kann kaum als ›friedlich‹ bezeichnet werden.
März 1794
Da nicht allein die hier durchziehenden Patrouillen, sondern auch die Husaren, die immer Fourage suchten oder spazieren gingen, in die Häuser eindrangen und plünderten, haben wir uns etliche male bei dem General der Avantgarde beschwert und die Antwort bekommen wir sollten sie binden und ins Hauptquartier liefern. Aber da hätten wir die Sache nur um so ärger gemacht, denn da wir uns etliche male gegen sie wehrten und nur zum Dorfe nausjagten, kamen hernach 200 Volontärs und 50 Husaren, die zur Plünderung unseres Ortes bestimmt waren. Sie wurden daher am Ende des Dorfes rangiert* und nach gegebenem Befehl ins Dorf gelassen. Die Volontärs hoben die größten Tore aus den Angeln, stürmten die Häuser, und was nicht gleich aufgemacht wurde, stießen sie mit den Flintenkolben ein. In den Kellern und Gärten visitierten sie mit Säbel und Bajonette, ob nichts vergraben wäre, und fanden auch etliche Kisten, die mit Fleisch, Kleidern u. dergl. angefüllt waren, und alles wurde mitgenommen. Dreißig rote Husaren,* die in unserm Hause schon öfter getrunken hatten, kamen zu uns, machten das Tor zu und ließen Niemand hinein. Sie begehrten nur Brot und Wein. Bis Mittag hatte die Tragödie ein Ende und der Kommandant sagte, dies sei geschehen, weil man die Soldaten beim General verklagt hätte.
Den 13. März kam eine Kommission vom Zentral-Komitee hier an und setzte unserm Dorf 6000 L.* in Geld an. Die 600 fl, die schon im Januar nach Neustadt geliefert wurden, wurden abgezogen, das übrige aber an den General Ditvieux in Deidesheim bezahlt. Unsre Kuh, die wir noch erhalten hatten, flüchteten wir nachts nach Mannheim. Da die Husaren Kühe nahmen, trauten wir [uns] nicht mehr, sie hier zu behalten; auch hatten wir noch eine zu Lambsheim stehen, die wir zu Dürkheim etliche Tage nach der Plünderung der Moselarmee wieder gefunden hatten. Unser Kleeheu, das wir ganz mit Stroh zugeschlagen hatten, wurde nun auch entdeckt. Es kam ein Kommando von Wachenheim, ein Offizier nahm die Leiter und sagte, er wisse ganz gewiß, daß wir noch Heu hätten und fand es auch. 3 Wägen, die er bei sich hatte, ließ er dann laden und nach Wachenheim führen. Die Husaren, die es nun auch erfuhren, kamen alle Tage und schleppten auf ihren Pferden jeder 6 Rationen fort. Etliche Tage danach kam wieder ein Kommando und holte noch 4 Wägen Heu, den Rest holten die Husaren auf ihren Pferden. Bei dieser Gelegenheit nahmen sie auch unsern ganz neuen Wagen mit.
Da nun unser Heu fort war, suchten sie täglich das ganze Dorf aus und fanden auch das bischen Heu noch, das verborgen war. Immer wurde geplündert, bald nahmen sie Betten, Kleidungsstücke, Zinn, Eisen, bald Brot, Fleisch, überhaupt alles, was nur 2 Kreuzer wert war. Einer von ihnen hat hauptsächlich „Kärch“* gestohlen, und sie mit seinem Pferde fortgeführt. Wenn einige ein Haus durchsuchten, stand einer mit gezücktem Säbel und gespannter Pistol* vor dem Tor, daß niemand zu Hilfe kommen konnte. Viele der Husaren waren jetzt nicht mehr mit dem Trinken zufrieden, sondern brachten kleine Fässer mit, welche wir ihnen füllen mußten. Die Kommandos, die beim Strohholen als Wachen ausgestellt waren, verließen ihre Posten und suchten die Häuser aus; da wir noch Wein hatten, kamen wir, was diesen Punkt (das Plündern) anbelangt, ziemlich gut davon.
Nach der Lektüre der vorangegangenen Einträge konnte man den Eindruck gewinnen, im Haus der Kösters sei nichts mehr übrig geblieben, das sich zu plündern lohne. In Karl August Kösters Eintrag vom April 1794 werden wir jedoch erfahren, dass dies noch lange nicht der Fall war. Allerdings war dies nicht das einzige und größte Problem, das die Familie Köster – und mit ihr das gesamte Dort Friedelsheim – zu ertragen hatte. Vermutlich aufgrund seines entschiedenen Einsatzes gegen die Plünderungen wird Köster selbst zur Zielscheibe der soldatischen Willkür: Mit gezücktem Säbel verfolgt und von der Guillotine bedroht, musste Köster im April 1794 ernsthaft um sein eigenes Leben fürchten.
April 1794
Nun war die Zeit da, daß man säen sollte. Das ärgste war, daß die wenige Sommersaat, die man aus Mangel an Saatfrucht und Zugvieh bestellen konnte, von Hand unter die Erde gebracht werden mußte. Und da hätte auch dem härtesten Menschen das Herz bluten mögen, wenn man sah, daß Menschen wie das Vieh angespannt waren und das taten, was man sonst nur Pferden und Ochsen zumutet. Auch litt die Winterfrucht, die bei diesem guten Jahr hätte gut geraten können, durch das unaufhörliche Reiten und Fahren, das immer quer über das Feld ging, außerordentlichen Schaden.
Viele junge Männer sind an den Folgen des Schreckens gestorben, mein Vater wurde auch krank und konnte bei solchen Umständen auch so bald nicht wieder gesund werden. Das Schrecklichste hierbei war noch die Angst, die wir den 10. April ausstehen mußten.
Unser Knecht kam diesen Abend mit dem Karch hierher und brachte uns etliche Malter Gerst, die wir noch säen wollten. Da er eben zum Tore hineinfahren wollte, kamen 6 Husaren, sabre á la main* und nahmen gleich die Fuhr weg. Hernach gingen sie ins Haus – es war neun Uhr – und plünderten alle Stuben aus. Immer setzten sie uns die Säbel auf die Brust und begehrten Geld und eine Uhr, mein Vater lag krank im Bett, demohngeachtet suchten sie das ganze Bett aus, mir gaben sie etliche Hieb mit der flachen Kling. Drei hielten Wache vorm Tor, daß uns niemand zu Hilfe kommen konnte, die andern hatten sich die Gesichter ganz mit Ruß geschwärzt und Schaum vorm Maul, daß wir sie nicht erkennen sollten. Mit den Säbeln schlugen sie vor Wut alle Gläser auf dem Tische entzwei, auch visitierten sie uns allen die Taschen aus. Dies währte bis Viertel auf 11, wo sie hernach mit dem Karch, der Frucht und den geplünderten Sachen wegritten und noch sagten »c'est une patrouille comme il faut.«*
Den andern Abend ließ sich daher mein Vater in unsrer Kutsche, die bis Lambsheim von 12 Männern von hier gezogen wurde, nach Mannheim fahren, weil es fast kein Mensch mehr aushalten konnte, und wir noch mehrere solche nächtliche Besuche fürchteten.
Ich blieb nun allein hier, aber wie gut wars, daß sie fort waren. Drei Stund hernach kamen wieder Husaren und 3 Volontärs an. Die Männer, welche die Kutsche gezogen hatten, waren noch bei mir und wir nahmen es mit ihnen auf. Mit Prügeln und (Mist-)Gabeln stellten wir uns einwendig an die Fenster, die schon eingehauen waren. Das ganze Dorf kam mit Stangen herbei, und sie mußten die Flucht ergreifen.
Den andern Tag kamen wieder Husaren und holten allen Salat und Kraut in unserem Garten nebst einem Karch Kornstroh. Der Wein war nun alle getrunken und betrug seit dem Rückzug der Armee 3 Fuder, den sie getrunken hatten. Alle Tage wurde nun das Haus ausgesucht und mitgenommen, was sie fanden.
Auf die Ostern wurde mir morgens mein Bett noch genommen. Den 16. April kamen Husaren von Forst und nahmen noch die Standuhr, die ich bisher erhalten hatte, nebst vielen andern Sachen, nichts mehr war sicher. Viermal mußte ich mich flüchten und in der Frucht verbergen, weil ich Wein herbeischaffen sollte. Wenn man nur von ferne einen Soldaten kommen sah, zitterte man schon am ganzen Leibe. Brot, Butter und Fleisch mußte man in den Mist oder in die Erde vergraben, wo es doch nicht sicher war, weil sie immer mit dem Säbel in den Gärten und Kellern visitierten.
Die reformierte Kirche wurde heute auch ganz ruiniert und die Orgel zusammengeschlagen.
Den 24. April wurde von den Franzosen der Schloßgraben abgelassen, um die Fische zu bekommen, und alle Schränke und Tische in den Zimmern des Schlosses* zu den Fenstern hinaus ins Wasser geworfen. Den andern Tag, da das Wasser abgelaufen war, kamen 200 Volontärs und viele Husaren, um zu fischen. Auch wurden bei dieser Gelegenheit 20 Wägen Stroh und 5 Wägen Heu geholt.
Die Vorposten der Franzosen haben heute 7 preußische Dragoner vom Regiment Katt, die sich bis auf die Ruth* vorgewagt hatten, gefangen. Kaum waren diese hier durchtransportiert, als der Kommandant der Husaren, Anglois, mich rufen ließ, unter dem Vorwand, ich solle was verdolmetschen. Als ich am Schloßgraben ankam, sagte mir der Kommandant, ich sei ein Spion und arretiert*, weil ich die Preußen avertiert* hätte, daß sie (die Franzosen) heute den Graben ausfischen wollten. Obgleich nun daran kein wahr Wort war, mußte ich mir doch gefallen lassen, fortgeführt zu werden. Ein Husar transportierte mich nach Forst, wo der Husarenkimmandant lag, von da wurde ich ins Hauptquartier der Avant-Garde zum General Girard Ditvieux* geführt, wo mir die Husaren sagten, daß ich würde guillotiniert werden.
Der General machte seinen Bericht ins Hauptquartier und ich wurde nun nach Neustadt transportiert, wo ich zu den Volontärs auf die Wachtstube gesetzt wurde, und es hieß, daß ich heute noch nach Landau müßte. Indessen kam ich nach 2 Stunden durch die Versicherung der Neustadter Municipalität, daß ich unschuldig sei, wieder los. Die Nacht blieb ich auf dem Spitalhof übernacht.
Den andern Morgen ging ich wieder nach Deidesheim zum General, um einen Paß zu begehren. Anstatt des Passes bekam ich eine Ordonanz, die mich nach Niederkirchen transportierte, wo mir der Kommandant eine Wacht bis zu den Vorposten mitgab. Von diesen gingen wieder drei mit und nahmen mir unterwegs – mein Geld ab.
So kam ich Montag den 26. wieder glücklich nach Haus, aber ich war um nichts gebessert. Denn gegen Abend kamen 4 Husaren, davon der eine mich beschuldigte, ich hätte ihn, als er vor 2 Jahren hier durch sei transportiert worden, ins Gesicht gespien und getreten. Er zog alsdann seinen Säbel heraus, setzte ihn mir an den Hals und sagte »allons, marche«!* So unwahr dies auch war, fand ichs doch für geratener, durchzugehen und sprang in den Garten und von da über die Bach.* Er ritt mir aber mit gezogenem Säbel nach. Von Glück war, daß er nicht über die Bach konnte. Ich stellte mich, als wollte ich ins Beckers Haus springen, deswegen er gleich wieder hinauf ritt, auch aufs Beckers Haus zu. Ich hingegen sprang wieder zum Garten hinaus und lief immer in der Bach bis nach Gönnheim. Da die Türe an des Beckers Haus verschlossen war, gewann ich Zeit genug davonzulaufen. Die Husaren, welche in der Meinung waren, ich sei wirklich in des Beckers Haus, suchten mich länger als eine halbe Stunde. Als ich in Gönnheim erfuhr, daß sie fort wären, bin ich wieder hierher. Jedermann riet mir, nicht hier zu bleiben, weswegen ich den Abend noch fort nach Lambsheim ging. Da es schon 10 Uhr war, wurde mir das Tor nicht mehr aufgemacht und ich legte mich in einen Kleeacker bis morgens, da die preußische Patrouille kam. Ich fuhr nun nach Mannheim und konnte wieder frei atmen. Den Tag darauf reiste ich nach Mauer, wo ich bis zum Vorrücken der Preußen blieb.
Den 25. April holten die Franken 30–40 kleine Fässer, dazu mir 8 geben mußten.
Den 26. sind die Franken mit der ganzen Avantgarde vorgerückt und haben die Gegend von Frankenthal und Grünstadt rekognosziert.* Die Lambsheimer und Freinsheimer weigerten sich ihre Tore aufzumachen und wollten sich zur Wehr setzen. Deswegen schossen die Franzosen die Tore mit Kanonen zusammen und hieben alle Fenster ein. Das Vieh, welches die Franzosen aus Lambsheim und Freinsheim brachten, betrug ungefähr 200 Stück. Das meiste war (von den Nachbarorten hinter die dortigen Festungsmauern) geflüchtetes, unsre Kuh hatten wir in dem Keller verborgen.
Da nun die Fourage alle war, wurde der Klee fouragiert. 3–4000 Mann deckten die Fouragierung und pflanzten ihre Kanonen auf den Anhöhen des Bruche* auf, die Volontärs brachten ihre Sensen mit und wer sich sehen ließ, mußte helfen. Dieses geschah viermal in unserer Gemarkung. In der Gegend von Lambsheim und Eppstein wurde auch Frucht fouragiert, welches in unserer Gemarkung nicht geschah, außer einem Acker mit Spelz hinter der Wallershöhe.*
Den 28. holten die Husaren unsre Halbe Chaise nebst 1 alten Bett.
Den 29. fanden die Husaren viele blechene Oelkannen und auch Zinn, das wir in unsres Nachbarshaus verborgen hatten, und auch einen Kasten voll Papiere und 3 Säcke voll Bücher, die der Citoyen R. verbrennen ließ. Auch wurden uns heute durch die Husaren etliche eiserne Reif und der Pumpenschwengel genommen.
Fortsetzung folgt im Mai 2024.